Die Geschichte von Call-by-Call und Pre-Selection - Teil 5:
Ortsgespräche durch halb Deutschland? / Die Entwicklung in den 2000er
Jahren
Zum
Jahreswechsel 2024/2025 wurden die vor allem früher von vielen
Telekom-Kunden genutzten Dienste Call-by-Call und Pre-Selection (zum
günstigen Telefonieren über andere Anbieter) abgeschaltet. Eine gute
Gelegenheit für einen Rückblick auf ein wichtiges Kapitel in der Geschichte des deutschen Telekommunikationsmarktes
Ein weiterer Aspekt war die Thematik mit der „ortsnahen Zuführung“:
Die Telekom wollte nicht, daß Ortsgespräche über längere Distanzen in ihrem
Festnetz hinundher geroutet werden. Mit dieser Klausel wurde die
Verpflichtung eingeführt, daß ein CbC-Anbieter in einem Ortsnetz
nur dann Ortsnetz-CbC anbieten durfte, wenn er den betreffenden lokalen
Einzugsbereich mit einem eigenen Netzübergang erschlossen hatte. Für
ein bundesweites Ortsnetz-CbC-Angebot mußte ein CbC-Anbieter folglich
475 Übergangspunkte im ganzen Bundesgebiet realisieren (für
Verbindungen zu anderen Zielen galt diese Regel nicht!). Dies konnte
und
wollte nicht jeder CbC-Anbieter tun – und so kam es, daß für Call-by-Call und Pre-Selection im
Ortsnetz nur eine eingeschränkte Zahl an Anbietern zur Auswahl stand
und das Preisniveau für Ortsgespräche aufgrund des begrenzten
Wettbewerbs teilweise höher war, als für Ferngespräche, die von mehr
Betreibern angeboten wurden.
Kurios: Während die Telekom zu
Zeiten des
klassischen Festnetzes von ihren Konkurrenten soviele eigene
Netzübergänge (und damit auch Investitionen) wie möglich forderte,
sieht sie dieses
Thema seit der Umstellung des Telefonnetzes (und damit auch der
Zusammenschaltung mit anderen Anbietern) von ISDN auf VoIP-/NGN-Technik
inzwischen anders und vereinbart mit Konkurrenten im Festnetz in der
Regel nur noch Zusammenschaltungen an zwei verschiedenen Standorten.
Eigenen NGN-Anschlußkunden weist sie über die sogenannten
DNS-SRV-Einträge
für die SIP-Server-Adresse "tel.t-online.de" jeweils drei
Telefonieserver von verschiedenen Standorten aus ganz Deutschland zu
(von denen der erste meist noch relativ "nah" zum Nutzer gelegen ist).
Es macht der Telekom heutzutage also nicht mehr viel aus,
wenn selbst Ortsgespräche innerhalb von Deutschland hinundher geschickt
werden – wie sich die Zeiten ändern…
Der ungewöhnliche Effekt, daß nach der Freigabe von Ortsnetz-CbC teilweise Ortsgespräche teurer waren
als Ferngespräche, hatte aber auch damit zu tun, daß die Telekom auf
Basis des im oben genannten TKG-Paragraphen bei der Regulierungsbehörde
einen Zuschlag auf die Zusammenschaltungsentgelte forderte
(um wie es dort hieß die anderen Anbieter „angemessen an den Kosten des
Teilnehmeranschlusses“ zu beteiligen). Sie bekam von der RegTP dann
zunächst einen Zuschlag von 0,4 Ct/Min (aber „nur“ für die Zuführung
ausgerechnet von Ortsgesprächen!) genehmigt, was dann einen
mehrjährigen Rechtsstreit zur Folge hatte, bis dieser Zuschlag dann
schließlich 2008 endgültig gekippt wurde.
Neben der Telekom
versuchten aber auch verschiedene private Anschlußbetreiber, Erhöhungen
bei den Zusammenschaltungsentgelten in ihr Netz durchzusetzen.
Ausgangspunkt war die Frage: Soll die Interconnection-Leistung „Telekom
leitet Anruf an Anbieter X weiter“ genauso teuer sein wie der
umgekehrte Fall „Anbieter X leitet Anruf an Telekom weiter“? Sollen die
in den diversen Regulierungsverfahren für die Telekom festgelegten
IC-Entgelte also in beiden Richtungen gleichermaßen („reziprok“) gelten
oder dürfen die alternativen Anbieter mehr verlangen, weil sie kleiner
sind und die Fixkosten sich in ihren Netzen auf weniger Kunden
verteilen?
Verschiedene
(aber nicht alle) konkurrierenden Anschlußnetzbetreiber beantragten
damals Zuschläge für
Verbindungen in ihr Netz. Zunächst wurden Forderungen von bis zu rund
2,5 - 3
Ct/Min zusätzlich(!) erhoben - die Regulierungsbehörde genehmigte
schließlich den Antragsstellern einen Zuschlag von zwar nur 0,17
Ct/Min (ohne MwSt), die aber
dennoch eine Mehrbelastung für andere Anbieter darstellten. Die Telekom
berechnete diese für sie entstehenden Mehrkosten sogar einige Zeit an
ihre Kunden weiter, sodaß Telefonate zu den betroffenen Anbietern dann
0,2 Ct/Min (inkl. MwSt) teurer waren als zu anderen deutschen
Festnetzanbietern – sogar bei Flatrate-Tarifen der Telekom wurden
diese 0,2 Ct/min berechnet!
Ende 2008 war aber dann Schluß mit diesem sogenannten
„Reziprozitätszuschlag“ und es wurden wieder einheitliche IC-Tarife für
vergleichbare Leistungen festgelegt, egal „in welche Richtung“.
In
den 2000er Jahren gewann der Wettbewerb im deutschen TK-Markt immer
mehr an Fahrt. Neben Call-by-Call und Pre-Selection gab es auch immer
mehr Angebote am Markt, um mit seinem gesamten Anschluß den Anbieter zu
wechseln. Neben klassischen Analog- oder ISDN-Anschlüssen wurden
DSL-Anschlüsse sowie Telefonie und Internet auf Basis von modernisierten
Kabel-TV-Anschlüssen immer beliebter. Wer seinen Anbieter wechselte,
konnte aber (s.o.) kein normales Call-by-Call mehr nutzen. Zudem gab es zunehmend Angebote, bei denen zumindest
Gespräche innerhalb des deutschen Festnetzes bereits inklusive waren.
Die
Telekom bot ab dem Jahr 2000 zunächst eine Sonntagsflatrate unter dem
Namen „XXL“ (später XXL Sunday) auf den Markt, die von cleveren Nutzern
auch zum Surfen im Internet via Modem oder ISDN über normale Ortseinwahlnummern genutzt
wurde. 2003 folgte eine Wochenend-Flatrate (XXL Weekend) und 2005 neben
einer Nebenzeit-Flatrate für die Nutzung am Abend und am Wochenende
(XXL Freetime) schließlich auch die erste Telefon-Flatrate für die
ganze Woche (XXL Fulltime) – bei diesen Tarifen war aber die
Internet-Einwahl über Ortsrufnummern aufgrund einer „schwarzen Liste“
nicht mehr kostenfrei. Ab 2006 brachte die Telekom mit den
Call&Surf-Tarifen dann auch die ersten eigenen Komplettpakete für
Telefonie und DSL heraus, bei denen bereits zumindest in manchen
Tarifvarianten auch eine Telefon-Flatrate ins deutsche Festnetz
beinhaltet war.
Call-by-Call und Pre-Selection wurden im Markt
immer wieder fast totgesagt – ein Artikel der Berliner Zeitung sprach
bereits 1999 von CbC als Auslaufmodell – unter anderem Bezug nehmend
auf verschiedene Anbieter, die offenbar vom harten Preiskampf und der (wohl aufgrund
der hohen Zahl an anmeldefreien Angeboten) geringen Kundentreue
frustriert waren. In den 2000ern gibt es von Verbänden und
Regulierungsbehörden immer wieder Statistiken, daß die
Telekom-Konkurrenten zwar insgesamt immer mehr Telefonverkehr abwickeln
(und durchaus einen erheblichen Teil des Marktes auf sich vereinen),
die Marktanteile von CbC und Pre-Selection dabei aber immer geringer werden.
Aufgrund einer unterschiedlichen Datenbasis und auch wechselnder
Erhebungsgrundlagen ist der Vergleich konkreter Zahlen schwierig, aber
vom Grundsatz her ist dies durchaus plausibel – denn durch den
zunehmenden Wettbewerb wechselten in der Tat immer mehr Kunden den
Anbieter ihres Festnetzanschlusses oder griffen auch bei der Telekom zu
Flatrate-Angeboten.
Durch die ebenfalls ab den 2000er Jahren
verstärkt auf den Markt kommenden Handy-Flatrates, wurde der Wettbewerb
noch weiter verstärkt. Anbieter wie die E-Plus-Marke BASE machten so
auch das Telefonieren vom Handy aus günstig.
Vor allem für
innerdeutsche Gespräche verloren CbC und Pre-Selection im Markt zwar immer
mehr an Bedeutung; für Gespräche ins Ausland oder in die deutschen
Mobilfunknetze bot gerade anmeldefreies CbC aber bis zum letzten Tag
deutliche Einsparmöglichkeiten, denn zu diesen Zielen blieb das
Preisniveau bei den Anbietern von Komplettanschlüssen relativ hoch. Im
alltäglichen Preiskampf ging und geht es eben hauptsächlich um die Verfügbarkeit bzw. Geschwindigkeit von breitbandigen
Internet-Anschlüssen und um den monatlichen Grundpreis eines entsprechenden Telefon- und
Internet-Komplettpaketes. Gespräche außerhalb des deutschen Festnetzes
spielen da eher eine untergeordnete Rolle im Marketing.
Eine weitere Entwicklung im Markt war ab den 2000er Jahren der Wandel von
herkömmlichen Telefonanschlüssen (Analog/ISDN) hin zur IP-basierten
Telefonie (VoIP/NGN). Auch die Telekom setzte zunehmend auf die
VoIP-Technik. Dabei blieb zunächst unklar, ob Call-by-Call und
Pre-Selection auch an solchen IP-basierten Anschlüssen verpflichtend
sein sollten. Die Telekom sah mit der Möglichkeit, in seinem Router
auch einen anderen VoIP-Anbieter konfigurieren zu können, einen
ausreichenden Wettbewerb, aber die BNetzA entschied 2010 schließlich,
daß Call-by-Call und Pre-Selection auch bei IP-Anschlüssen in der ganz
klassischen Form angeboten werden mußten.
Alle Teile der Artikelserie finden Sie in folgender Übersicht:
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