Die Geschichte von Call-by-Call und Pre-Selection - Teil 1: Der Start 1998 und welchen Wettbewerb es schon zuvor gab
Zum
Jahreswechsel 2024/2025 wurden die vor allem früher von vielen
Telekom-Kunden genutzten Dienste Call-by-Call und Pre-Selection (zum
günstigen Telefonieren über andere Anbieter) abgeschaltet. Eine gute
Gelegenheit für einen Rückblick auf ein wichtiges Kapitel in der Geschichte des deutschen Telekommunikationsmarktes
Die
Freigabe des deutschen Festnetzmarktes 1998 stellte einen wesentlichen
Schritt zur völligen Liberalisierung der deutschen
Telekommunikationsbranche dar. Doch in manchen Teilbereichen gab es
schon vorher Wettbewerb. Etwa im Mobilfunk, wo mit dem D2-Netz (D2
Privat, D2 Mannesmann, Vodafone D2) ab 1992 und dem E-Plus-Netz ab 1994
schon konkurrierende Anbieter zur Telekom und ihrem C-Netz bzw.
D1-Netz existierten.
Im Endgerätemarkt gab es bereits ab
1989 Wettbewerb und damit die Möglichkeit, auch solche Telefone o.ä.
anzuschließen, die nicht bei der Bundespost bzw. Telekom gemietet oder gekauft wurden. Auch Datendienste konnten schon ab
Ende der 80er Jahre von privaten Unternehmen angeboten werden, diese durften aber noch
keine eigenen Leitungen verlegen, sondern mußten die Infrastruktur der Bundespost (bzw. später
Telekom) verwenden. Dienste wie das damalige Datex-P der Bundespost bekamen in den
1990er Jahren zunehmend Konkurrenz durch private Wettbewerber und auch die
ersten privaten Internet-Provider konnten entstehen und ihre Dienste
anbieten.
Ein wesentlicher Schritt zum Wettbewerb war 1996
das Telekommunikationsgesetz (TKG), welches das uralte
Fernmeldeanlagengesetz (FAG) von 1928 ablöste, das noch Grundlage für den
Monopolanspruch der einstigen Bundespost war und die Telekommunikation
(oder besser gesagt das Fernmeldewesen, wie es früher noch hieß) als
staatliche Aufgabe ansah.
Mit dem TKG wurde der TK-Markt bereits
weitgehend für den Wettbewerb freigegeben. Insbesondere konnten
konkurrierende Anbieter nun auch Lizenzen bzw. Wegerechte für eigene
TK-Netze beantragen und hiermit auch eigene Leitungen im öffentlichen
Raum verlegen. Eine wesentliche Ausnahme war aber noch der Markt für
Festnetztelefonie, der erst 1998 freigegeben werden sollte.
Wobei
es auch dort schon „Hintertürchen“ für einen gewissen Wettbewerb gab:
Mit sogenannten Callback-Diensten konnte man (in der Regel
ausländische) Rufnummern des jeweiligen Anbieters anklingeln, dessen
Vermittlungssysteme einen dann zurückriefen und ermöglichten, über ihn
zu telefonieren. Ein weiteres Produkt waren Calling Cards, mit denen
man eine meist gebührenfreie 0130-Rufnummer anrufen und sich
über die jeweilige Plattform zum gewünschten Ziel weiterverbinden
lassen konnte.
Eine völlige Abschottung des deutschen
Festnetzmarktes gelang also schon vor 1998 nicht mehr, allerdings waren
Callback und Calling Cards eher ein Nischenprodukt und erforderten auch
immer eine Anmeldung beim betreffenden Anbieter.
Das TKG von 1996 legte schließlich die Rahmenbedingungen fest für die vollständige
Festnetz-Liberalisierung ab 1998.
Ein
wesentlicher Punkt war hierbei die Einführung der Möglichkeit, als
Telekom-Festnetzkunde flexibel über andere Anbieter telefonieren zu
können, ohne gleich mit dem gesamten Anschluß dorthin wechseln zu müssen (was
ab 1998 zunächst nur regional und auch nur zu wenigen Konkurrenzanbietern
möglich war).
Die rechtliche Grundlage hierfür war §43 Abs. 6 TKG (1996) –
darin hieß es:
„Betreiber
von Telekommunikationsnetzen haben in ihren Netzen sicherzustellen, daß
jeder Nutzer die Möglichkeit hat, den Verbindungsnetzbetreiber frei
auszuwählen, und zwar durch eine dauerhafte Voreinstellung, die im
Einzelfall des Verbindungsaufbaus durch die Wahl einer
Verbindungsnetzbetreiberkennzahl ersetzt werden kann.(…)“
Mit
der „Wahl einer Verbindungsnetzbetreiberkennzahl“ war das gemeint, was
der Telefonkunde schließlich als „Call-by-Call“ kennenlernen sollte:
Man wählt einfach vor der gewünschten Telefonnummer eine CbC-Vorwahl
nach dem Muster 010xy oder 0100xy und die Verbindung wird dann über den
betreffenden Anbieter geleitet. Manche dieser Call-by-Call-Anbieter verlangten eine
Anmeldung und stellten die Verbindungen dann oft auch selbst in Rechnung, andere
Anbieter konnten ohne jegliche Anmeldung genutzt werden und rechneten
einfach über die normale Telefonrechnung der Telekom ab.
Die
genauen Modalitäten, welche Leistungen von alternativen Anbietern die
Telekom zu welchen Konditionen abrechnen muß, waren einer von vielen
Streitpunkten in der Branche. Während die Telekom sich anfangs für die
Konkurrenz auch noch um Reklamationen von Kunden sowie um Mahnungen säumiger
Zahler kümmern mußte, konnte sie diese Aufgaben schon ab 2001 auf die
Wettbewerber selbst abwälzen. Die Telekom machte daraufhin nur noch das
Erstinkasso einer Rechnung mit den Positionen anderer Anbieter.
Beschwerden von Kunden oder das Eintreiben offener Forderungen wurden
somit die Sache der privaten Konkurrenten, die meist spezielle
Dienstleister wie Nexnet oder Acoreus damit beauftragen. Damit konnte
das anmeldefreie Call-by-Call mit Abrechnung über die Telekom gerettet werden.
Hierdurch
war eine flexible Nutzung verschiedener Anbieter möglich. Eine
wirkliche Kundenbindung konnte gerade bei den anmeldefreien Angeboten
meist kaum entstehen. Verkauft wurde maßgeblich über den Preis.
Tariftabellen in vielen Tageszeitungen und Teletext-Angeboten zeigten
die günstigsten Angebote zu ausgewählten Zielen. Da konnten schon
wenige Zehntel oder gar Hundertstel Cent im Minutenpreis entscheiden, ob man als
Anbieter in einer solchen Liste auftauchte oder doch eher der
Konkurrent.
Wer
sich noch gut an die Monopol-Zeiten im Festnetz erinnern kann, der
weiß, daß die Telekom früher mit sogenannten „Einheiten“ abrechnete,
die immer den gleichen Betrag kosteten (Anfang der 90er Jahre z.B. 23 Pfennig,
ab 1996 dann 12 Pfennig), aber je nach Ziel unterschiedlich lange dauerten.
Nach der Liberalisierung etablierten sich feste Minutenpreise, dabei setzten
zunächst viele Anbieter sogar auf den besonders kundenfreundlichen Sekundentakt,
bei dem man wirklich nur für die Länge der Verbindung zahlen mußte. Doch die Kunden
entschieden sich oftmals lieber für möglichst günstige Tarife, auch wenn
diese wie z.B.bei Mobilcom (01019) im Minutentakt abgerechnet wurden. So setzte sich
eben dieser Minutentakt immer mehr im Markt durch – teilweise ergänzt
noch durch eine einmalige Einwahlgebühr. Durch diesen
„Verschnitt“ dauerte z.B. ein Gespräch 2,5 Minuten, aber man mußte 3
Minuten bezahlen – zur Freude der Anbieter, denen dies
ein gewisses Zubrot brachte. Einzelne Anbieter nutzen sogar noch längere Taktzeiten von 180 oder gar 300
Sekunden, oder verlangten ein zusätzliches einmaliges Entgelt pro Verbindung, was die Vergleichbarkeit teilweise erschwerte.
Die
„dauerhafte Voreinstellung“ wurde im Markt als
„Pre-Selection“ bekannt. Man kann sich dies so vorstellen, daß in der
Vermittlungsstelle der Telekom einfach eine CbC-Vorwahl fest
einprogrammiert wurde, sodaß alle Gespräche (genauer gesagt zunächst
alle die mit einer "0"
anfingen) automatisch über den entsprechenden Anbieter abgewickelt
wurden und man nicht jedes Mal dessen CbC-Vorwahl eintippen mußte. Dies
war insbesondere für Geschäftskunden eine interessante Lösung. Man war aber
dennoch nicht einseitig an den „pre-selecteten“ Anbieter gebunden,
sondern konnte mit der Wahl einer anderen CbC-Vorwahl die Pre-Selection für
den folgenden
Anruf umgehen. Mit der Wahl der Telekom-Netzkennzahl 01033 konnte
man auch einen Anruf explizit über die Telekom leiten.
Eine Alternative zur festen Pre-Selection war die
Nutzung eines „Least Cost Routers (LCR)“ - dies war ein Gerät, daß
zwischen Telefon und Telefonsteckdose installiert wurde und entsprechend seiner
Programmierung je nach Ziel und Tageszeit automatisch den "günstigsten"
Anbieter anwählte. Die hierfür nötigen Updates mußten dann aber
regelmäßig durchgeführt werden und waren
teils auch kostenpflichtig. Die inzwischen genutzten DSL-/VoIP-Router
haben teilweise bis heute ähnliche
Funktionen - dazu gehören auch viele Modelle der beliebten
Fritzboxen.
Die Ausgangssituation für die
privaten Konkurrenten
der Telekom 1998 war eigentlich ganz gut: Das Preisniveau der Telekom
für Telefongespräche war in vielen Bereichen ziemlich hoch. Während
Ortsgespräche (auf Minutenpreise umgerechnet) zwischen 3 und 8 Pfennige pro Minute
kosteten,wurden für Gespräche in 50 km Umkreis schon bis zu 24 Pfennig und für
Ferngespräche zu noch weiter entfernten Zielen im Inland sogar bis zu
60 Pfennig pro Minute berechnet. Für Verbindungen in die deutschen
Mobilfunknetze waren bis zu 1,34 DM/Minute fällig, Auslandsgespräche in
viele europäische Nachbarländer kosteten bis zu 0,96 DM/Minute,
Gespräche in die USA bis zu 1,44
DM/Minute und nach Australien sogar bis zu 2,40 DM/Minute.
Alle Teile der Artikelserie finden Sie in folgender Übersicht:
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