Die Geschichte von Call-by-Call und Pre-Selection - Teil 3: Wann ist ein Netz ein Netz? / Kein CbC für Ortsgespräche
Zum
Jahreswechsel 2024/2025 wurden die vor allem früher von vielen
Telekom-Kunden genutzten Dienste Call-by-Call und Pre-Selection (zum
günstigen Telefonieren über andere Anbieter) abgeschaltet. Eine gute
Gelegenheit für einen Rückblick auf ein wichtiges Kapitel in der Geschichte des deutschen Telekommunikationsmarktes
Der
durchschlagende Erfolg von Call-by-Call - und hierbei unter anderem des
Angebotes von Mobilcom - führte zu der interessanten Diskussion „Wann
ist ein Netz ein Netz?“ – dies hatte damit zu tun, daß z.B. Mobilcom
für seine CbC-Vorwahl 01019 der Legende nach in der Anfangszeit den
gesamten Telefonverkehr seiner Call-by-Call-Kunden über eine einzige
Vermittlungsstelle und einen einzigen Interconnect in Hamburg
abwickelte, sodaß bei einem Ferngespräch eines Telekom-Kunden von Stuttgart nach München
über die Mobilcom-Vorwahl 01019 die Telekom in ihrem eigenen Netz die Verbindung vom Anrufer in
Stuttgart zu Mobilcom nach Hamburg routen mußte und dann wieder von
Mobilcom in Hamburg zum Angerufenen nach München. Die Telekom beklagte
die hieraus resultierende Belastung ihres Netzes und forderte für
Netzbetreiber ohne ein gewisses Mindestmaß an eigener Netzinfrastruktur
einen Aufschlag auf die Vorleistungsentgelte für solch einen
„atypischen Telefonverkehr“.
Dabei
wurde aber übersehen, daß ein CbC-Anbieter in Fällen wie dem oben
skizzierten ohnehin bereits mehr Geld an die Telekom bezahlten mußte,
als ein Anbieter mit einer zwei oder gar dreistelligen Zahl an
Netzübergangspunkten im Bundesgebiet, denn je weniger Netzübergänge
erschlossen wurden, um so höher war der Anteil an Verbindungen, für die die
teureren Tarifzonen der IC-Tarife fällig wurden. Der springende
Punkt war eher der, daß selbst wenn Anrufer und Angerufener für einen
CbC-Anbieter nur zur teuersten IC-Tarifstufe erreichbar waren, dies
zunächst immer noch eine positive Marge ermöglichte, weil das
Preisniveau für Festnetz-Telefonate, von einem langjährigen ehemaligen
Monopolmarkt her kommend, anfangs noch hoch genug war.
Die RegTP führte dann aber letztlich 1999 doch zwei Regeln ein, die ein CbC-Netzbetreiber erfüllen mußte:
1.)
„das Vorhandensein von mehr als zwei Übertragungswegen, die mit
mindestens einer Vermittlungseinrichtung verbunden sind“. Also
vereinfacht gesagt: Eine Vermittlungsstelle war ausreichend, es mußten aber
mindestens drei Netzübergänge (in verschiedenen Städten) eingerichtet
werden.
2.)
die "48,8 Erlang"-Regel, die besagte, daß ein Konkurrenzanbieter einen
weiteren Grundeinzugsbereich (von insgesamt maximal 23) im Telefonnetz der Telekom mit einem
eigenen Netzübergang erschließen muß, wenn der Verkehr aus diesem bzw.
in diesen Bereich das Maß von 48,8 Erlang überschreitet. "Erlang" ist
dabei eine spezielle Maßeinheit für die Berechnung der (theoretischen)
Auslastung in Kommunikationsnetzen. Die 48,8 Erlang-Regel bedeutete
vereinfacht, daß mit dem vorhandenen Telefonverkehr zwischen der
Telekom und ihrem Interconnection-Partner in einem Grundeinzugsbereich zu branchenüblichen
Nutzungsparametern mindestens zwei (eigene) Interconnection-Anschlüsse
ausgelastet werden können.
Diese
Regeln waren relativ mild und wurden von den meisten Anbietern ohnehin
schon bald erfüllt oder sogar übertroffen – bundesweite CbC-Anbieter bauten mit der Zeit oftmals zwischen 23 und 475
Übergabepunkte auf (23 für eine komplette Erschließung der
überregionalen Vermittlungsebene des Telekom-Netzes, 475 für eine
komplette Erschließung auch der regionalen Netzebene). Die bereits
erwähnte Mobilcom baute etwa zur Jahrtausendwende einen bundesweiten
Glasfaserring (langfristig angemietet bei der gemeinsamen TK-Tochter
vieler deutscher Gasversorger) mit – soweit bekannt – 23
Übergabepunkten auf, dieses Netz wurde später sogar auf 475
Übergabepunkte ausgebaut (um flächendeckend Call-by-Call im Ortsnetz
anbieten zu können, siehe zu den Hintergründen auch Teil 4).
In
den Folgejahren gab es dann noch mehrere grundlegende Änderungen
„hinter den Kulissen“, von denen die meisten Kunden bewußt kaum etwas
mitbekommen haben dürften:
Im
Jahr 2000 wurde die sogenannte „Carrier Selection Phase II“ umgesetzt.
Das bedeutete schlicht und ergreifend, daß das Routing von
Sondernummern neu geregelt wurde. Während zuvor - vereinfacht gesagt -
alles mit „0“ vorne dran, über Call-by-Call und vor allem auch eine
aktive
Pre-Selection geroutet werden konnte, wurden durch durch diese neue
Regel fortan einige Sonderdienste hiervon
ausgenommen. Sondernummern wie 0137 (Telefonabstimmungen), 0180
(Geteilte-Kosten-Dienste) oder 0190 (Mehrwertdienste) wurden nunmehr
generell über den Anschlußbetreiber (also in der Regel die Telekom)
geroutet und nicht mehr über einen CbC- oder Pre-Selection-Anbieter -
auch nicht bei Nutzung der entsprechenden Vorwahl! Zuvor gab es hierbei
teilweise Erreichbarkeitsprobleme oder abweichende (oftmals höhere)
Tarife zu
solchen Rufnummern im Vergleich zum Telekom-Festnetz, was bei
Sondernummern aber schon zwecks einer möglichst einfachen Kostenangabe
in der Werbung
nicht erwünscht war. Im Gegenzug wurden manch andere Sondernummern, wie
z.B. Online-Einwahlen (019xy) nun generell über denjenigen Netzbetreiber
geroutet, bei dem sie geschaltet waren – eine CbC-Vorwahl war hierfür
dann nicht mehr extra notwendig.
Im
Jahr 2002 erfolgte zudem eine Neustrukturierung der
Interconnection-Entgelte, die sich TK-Anbieter untereinander bezahlen,
wenn sie Gespräche in fremde Netze weiterleiten bzw. aus diesen
übergeben bekommen. Galt zuvor bei den IC-Tarifen das klassische
Tarifzonensystem der Telekom, das man von den ganz normalen
Privatkundentarifen kannte (City, Region 50, Region 200, Fern), wurde
nun ein Tarifsystem eingeführt, daß sich an durchlaufenen Netzelementen
orientierte (auf lokaler bzw. überregionaler Ebene). Dieses
"element-based charging" (EBC) genannte System sollte sich mehr an den
tatsächlichen Kosten orientieren. Das alte Tarifzonen-System führte vor
allem zu Investitionen (sprich Netzübergängen) in Ballungsgebieten,
weil dort innerhalb des City- bzw. Regio-Bereiches eben sehr viele
Anschlüsse erreichbar waren. Das EBC-System orientierte sich an der
wirklichen Netzstruktur, nach der innerhalb einer Großstadt eben nicht
alle Anschlüsse an der gleichen Vermittlungsstelle (und damit im
gleichen Einzugsbereich) angeschaltet waren - stattdessen konnte es
auch innerhalb von Ballungsräumen durchaus dazu kommen, daß ein
Gespräch verschiedene Netzebenen / Einzugsbereiche durchlief.
In
den Folgejahren sanken dabei diese IC-Entgelte immer weiter (die genaue
Höhe dieser Entgelte ist bis heute ein Dauerstreitthema zwischen der
Telekom und anderen Netzbetreibern) – und die Endkundenpreise meistens
gleich mit.
Der
oben zitierte Text im Telekommunikationsgesetz hatte noch eine ganz
andere Wirkung, über die in der Branche in den Folgejahren heftig
gestritten werden sollte: Denn während Telekom-Kunden mit einer
CbC-Vorwahl (oder Pre-Selection) bei Ferngesprächen, Anrufen zu
Mobilfunknetzen oder Auslandsverbindungen meist kräftig sparen konnten,
waren klassische Ortsgespräche (also Verbindungen innerhalb der
gleichen Ortsvorwahl) in den ersten Jahren noch von Call-by-Call bzw.
Pre-Selection ausgenommen und wurden immer über den Anschlußbetreiber
(also meist die Telekom) geroutet.
Hintergrund
war die damalige Auslegung des Telekommunikationsgesetzes, das zwischen
sogenannten Teilnehmernetzbetreibern (also der Netzbetreiber, der den
eigentlichen Telefonanschluß bereitstellt und an den man die monatliche
Grundgebühr bezahlt) und Verbindungsnetzbetreibern (den Unternehmen,
die über CbC und Pre-Selection ihre Dienste anboten) unterscheidet. Wie
andere Gesetze beinhaltet auch das TKG eine Begriffsdefinition – und
hierbei wurden Verbindungsnetzbetreiber als Anbieter definiert, „die
Teilnehmernetze verbinden“ (in der Mehrzahl!). Dies wurde so
verstanden, daß ein Anruf nur dann über einen Call-by-Call- bzw. Pre-Selection-Anbieter abgewickelt
werden durfte, wenn eben zwei Teilnehmernetze (also zwei verschiedene
Ortsnetze) miteinander verbunden werden – es sich folglich um ein
Gespräch handelt, das aus dem eigenen Ortsnetz hinausführt. Damit
wurden Ortsgespräche einfach aus dem Wettbewerb hinausdefiniert.
Alle Teile der Artikelserie finden Sie in folgender Übersicht:
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